Sagenwelt

  • Die Löcher im Roßkopfgrat

    Einst lebten auf der Handlaste im Achental zwei Senner. Der Melcher und sein Helfer, der Astner genannt wurde. Als die Zeit der Christmette kam, trug ihnen der Bauer strengstens auf, die Mette, die im Dorf um Mitternacht gefeiert wurde, zu besuchen. Es war bitterkalt, draußen vor der Hütte lag meterhoch Schnee, wer sollte sie jetzt zwingen, die Hütte zu verlassen und in das Dorf zu gehen? So vertrieben sich die beiden Männer die Zeit mit "Watten" (Kartenspiel).

    Kaum war es Mitternacht, da schlug die Tür auf und der Leibhaftige stand vor ihnen! Die Senner wurden vor Schreck kreidebleich. Während der Astner auf die Knie fiel und laut zu beten anfing, suchte der Melker, der das Beten schon verlernt hatte, sein Heil in der Flucht.
    Doch der Teufel versperrte ihm den Weg, packte ihn an der Schulter, riss ihn durch das Schlüsselloch hinaus ins Freie, trug ihn in wilder Fahrt auf die Gipfel und riss ihn durch sieben Berge. Jetzt trug er den Melcher wieder zur Astenhütte und stellte ihn hinter der Tür mit dem Kopf nach unten auf.
    Die Löcher, durch die der Teufel den Sünder gezogen hatte, sind heute noch besonders schön am Roßkopfgrat zu sehen.

    Entnommen aus "Sagenwelt im Oberpinzgau" von Volkmar Zobl

  • Der Schatz auf der Reichenspitze

    An der Grenze zwischen dem Pinzgau und dem Zillertal, in der Wilden Gerlos, erhebt sich ein scharfer, mit ewigem Schnee bedeckter Berg, den man die Reichenspitze nennt. Seit alters her munkelt man, dass sich knapp unter dem Gipfel einige Höhlen befänden, in deren Tiefen kostbare Schätze ruhen. Jeder, der den Mut und die Entschlossenheit besitzt, in diese Höhlen vorzudringen, kann dort Edelsteine und kostbare Metalle finden, soviel er nur zu tragen vermag.
    Im Leben wird es ihm immer gut gehen, aber sobald er gestorben ist, ist er verdammt, die Schätze in den Höhlen zu hüten. Dabei wird er von furchtbarer Kälte gequält, er muss, wie man im Volk sagt, "die kalte Pein erleiden". Es ist immer eine Anzahl von Wächtern auf ihren Posten in den Höhlen. Sobald ein neuer Goldhüter ankommt, wird die Seele dessen, der am längsten in einer Höhle gewacht hat, erlöst und kann zur ewigen Ruhe und zum himmlischen Frieden eingehen.
    Ein Bauer aus Stumm im Zillertale kam einst von einer langen Reise heim. Der Morgen graute bereits, wolkenlos war der Himmel und der Tag versprach schönes und klares Wetter. Als der Bauer durch seine Felder ging und die üppigen Saaten mit Wohlgefallen betrachtete, dachte er bei sich: „Jetzt heißt's Sensen dengeln und mähen, solange es der Arm aushält."  Er nahm sich vor, so viel als  möglich zu mähen, denn es war ein so heißer Tag, dass die Sonne am gleichen Tag schon das Heu rauchdürr machte. Auf einmal kam ihm sein Nachbar entgegen, im dicken Lodengewand, mit warmen Fäustlingen, um den Hals einen gestrickten Schal. Der Bauer musste zuerst lachen darüber, dass ihm mitten im Hochsommer jemand in einer solch winterlichen Bekleidung begegnet und fragte  neugierig: „Ja, wo willst denn du hin, Nachbar, marschierst vielleicht gar übern Tauern?" Der Angesprochene erwiderte nur recht unfreundlich und mit einer hohlen Stimme: „Auf ’n Reichenspitz muaß i, Schåtz hiaten."Kopfschüttelnd sah ihm der Bauer nach, denn er verstand den Sinn dieser Antwort nicht. Als er aber auf seinen Hof kam, überraschte ihn sein Weib mit der Botschaft, dass sein Nachbar in der Nacht vorher plötzlich sterbenskrank geworden war und vor wenigen Augenblicken das Zeitliche gesegnet habe. Nun teilte er seine Begegnung mit und jetzt ging beiden ein Licht auf. Der verstorbene Bauer war nämlich vor Jahren nahe daran gewesen, Haus und Hof zu verlieren, aber über Nacht hatte er auf rätselhafte Art Hilfe gefunden und war in kurzem der reichste Bauer weit und breit geworden. Niemand vermochte damals die Sache zu deuten, aber jetzt war alles klar, dass er nur dadurch, dass er in der Höhle auf der Reichenspitze Schätze gesucht hatte, gerettet worden war. Welchen Lohn aber hatte er nun dafür zahlen müssen!

    Entnommen aus "Sagenwelt im Oberpinzgau" von Volkmar Zobl

  • Der Hexentanz auf der Gerlosplatte

    Vor vielen Jahren ging ein Jäger von Krimml in das Wildgerlostal auf Gemsenjagd. Weil er immer wieder auf dem Rückweg bei den Almen einkehrte, verspätete er sich und kam erst bei Dunkelheit auf die Hinterplatte, wo heute noch drei Hütten stehen.

    Es war schon stockfinster. Deshalb legte er sich in der Rem (Heuboden) auf einen Heustock und schlief gleich ein. Plötzlich wurde er aus dem Schlaf geschreckt: er horchte und hörte in nächster Nähe eine Klarinette spielen. Die Musiktöne erklangen ganz deutlich aus der benachbarten Hütte. Er stand auf, öffnete vorsichtig die Remtür und schlich zum Fenster der danebenstehenden Almhütte. Als er durch das kleine Fenster spähte, sah er eine hellbeleuchtete Stube. Auf der Ofensäule saß eine riesengroße, schwarze Katze, die ihren langen Schwanz im Maul hatte und darauf wie auf einer Klarinette spielte.
    Die Stube war überfüllt mit Menschen: reiche Bauersleute aus der ganzen Umgebung, Senner und Sennerinnen, die er alle kannte. Sie tanzten ausgelassen und mit wilder Leidenschaft. Je schneller das Spiel der schwarzen Katze wurde, desto toller ging es in der Stube zu.
    Als er dieses Spektakel sah, wußte er: Das ist der Hexentanz!
    Er wollte mit dieser Hexerei nichts zu tun haben und schlich sich wieder auf sein Heulager, doch konnte er vor lauter Lärm nicht mehr einschlafen. Immer wieder sagte ihm sein Gewissen: "Geh hinüber und mach dem sündhaften Treiben ein Ende!"
    Er sprang vom Lager auf, nahm sein Gewehr, schlich wieder zur Almhütte, legte die Büchse auf das eiserne Fensterkreuz, nahm die Teufelskatze aufs Korn und drückte ab. Im selben Augenblick erhob sich ein furchtbarer Lärm, die Katze purzelte von der Ofensäule, die kreischenden Sennerinnen setzten sich auf eine Ofenschaufel und schrien: 
    "Hiaz (Jetzt) fahr´n ma (wir) auf und davon und nindascht (nirgends) mehr oa (herunter)."
    Gleich darauf erhoben sie sich in die Lüfte und flogen, auf der Ofenschaufel sitzend, durch das Fenster davon.  Voll Entsetzen und ganz gebrochen wankte der Jäger in seine Hütte zurück und sank bewusstlos auf sein Lager. Erst am nächsten Tag erwachte er aus der Ohnmacht und kehrte schwankend nach Krimml zurück. Von nun an siechte der Jäger, der früher landauf und landab als lebenslustiger und kräftiger Mann bekannt war, dahin, und nach einem halben Jahr fand er im Grab seine ewige Ruhe.

    Entnommen aus "Sagenwelt im Oberpinzgau" von Volkmar Zobl

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